fourth wall Virginia Ariu, Milena Langer, Sara Ursina Sjölin
Zeiten:
Eröffnung: Sonntag, 05. Juni 2022, 16–20 Uhr
Geöffnet: 06. Juni – 10. Juli 2022
In der Gruppenausstellung «fourth wall» werden Arbeiten von Virginia Ariu, Milena Langer und Sara Ursina Sjölin gezeigt, die sich mit den Wänden und Bildern beschäftigen, die uns in unserem täglichen Leben sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene umgeben, und danach fragen, inwiefern wir uns dem Ursprung der Produktion von ebendiesen Wänden und Bildern bewusst sind.
Bereits der Ausstellungstitel «fourth wall» macht das Vorhandensein einer Wand explizit. Grenzsetzende Wände, ebenso wie Bilder, sind feste Bestandteile von – wir behaupten – jedem Bereich unseres Lebens: Wir umgeben uns mit Wänden, um uns wohl zu fühlen, um uns zu schützen, um manchmal nicht zu viel von uns selbst preiszugeben. Und in den Momenten, in denen diese Mauern fallen, teilen wir eine Intimität mit unserer Umgebung, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Weniger metaphorisch gelesen, weist der Ausstellungstitel auf einen in der Tradition des naturalistischen Theaters des 19. Jahrhunderts stehenden Begriff hin, der eine sinnbildliche Wand beschreibt, die Bühne beziehungsweise Darsteller*innen vom Publikum trennt, um die Illusion der Fiktion zu wahren. Während die ‘vierte Wand’ im Theater ziemlich offensichtlich fiktiv ist, wird diese im Roman, im Film oder in Computerspielen von der Leser*in, der Betrachter*in oder der Spieler*in eher als unabänderliche Realität empfunden, wobei die ‘vierte Wand’ im übertragenen Sinne auch als ‘Instanz der Disziplinierung des Sehens’ beschrieben wird. Neben der ‘vierten Wand’ ist das ‘Durchbrechen’ derselben ein ebenso etabliertes Konzept, das den Moment beschreibt, indem das Dargestellte als solches ausgewiesen wird.
Wenn du, die Besucher*in, den ersten Raum betrittst, findest du dich mit einer Videoinstallation von Milena Langer konfrontiert, wobei die erste Begegnung weniger die Projektion beziehungsweise das Bild sondern viel mehr den Projektor, beziehungsweise die Produktion des Bildes in den Fokus rückt. Erst nachdem du dich in den Raum hinein bewegt hast, siehst du, wie die Linse von Langers Kamera bemüht ist, sich auf etwas ‘Reales’ zu fokussieren, wobei deren Realitätsanspruch jedoch sogleich in Zweifel gezogen wird. Während du die offengelegte Szene beobachtest, fragst du dich, von wessen Fantasien du Zeug*in wirst. In Movies (Squint) und Movies (Seeker) überführt Langer den öffentlichen Livestream eines DJ-Sets in einen intimen Moment zwischen ihr selbst, ihrer Kamera und dem Bildschirm, nur um diesen in «fourth wall» erneut der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Doppelung des Abbildes wird die Grenze zwischen Milena Langers Arbeit und ihrer Betrachter*in verschwommen. Im Gegensatz dazu nimmt Virginia Ariu explizit Bezug auf die Grenze als solche: Mit Correspondence unterteilt Ariu den Raum mit einer Trennwand, die auch als Manifestation synthetischer Strukturen zur Schaffung pseudoprivater Räume innerhalb öffentlicher Sphären gelesen werden kann. Die Wiederverwendung oder Neuanordnung alter Bilder, die aus bestehenden Erzählungen entnommen wurden, werden durch das durchscheinende Material des Plexiglases betrachtet. Die Arbeit ist Fenster und Spiegel zugleich – denn in einer Weiterführung dessen wirst du, die Betrachter*in, in ihrer Arbeit damit konfrontiert, wie die Werbesprache zur Aufrechterhaltung einer anderen Form der ‘vierten Wand’ genutzt wird.
Raum 2 wird von einem Diwan und einer auf der Wand aufgespannten Bettdecke bestimmt, die einen intimen Ort schaffen – es scheint fast so, als befändest du, die Betrachter*in, dich in einem Raum innerhalb des Raums. Sara Ursina Sjölins Stimme spricht zu dir: in Was für ein Psychopath, der sich am anderen Ende des Sofas hinsetzt? verwickelt dich Sjölin gemeinsam mit sich selbst in eine Erzählung, die dir, der Zuhörer*in, höchst persönliche Informationen offenbart. Diese wird mit subversiven Fragmen- ten psychoanalytischer Diskurse verwoben, die am Ende den Blick auf dich richten – zu dir sprechen –, um eine literarische Annäherung an die Beziehungen zu offenbaren, die in einer Abwägung von Gedicht, Fiktion und Realität zusammenlaufen.
Die Auslegung der Räume – 3 Räume implizieren einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – wirft die Frage auf, ob die Ausstellung mit den Arbeiten von Milena Langer und Virginia Ariu in Raum 3 geschlossen wird. Gleichzeitig schlagen Capitalist City und Movies (Controller) sowie Movies (Stream) einen Bogen zu den in Raum 1 entwickelten Gedanken: Arius Capitalist City, die an eine Tür erinnert, jedoch keine ihrer Funktionen erfüllt, lässt die Frage danach, wer oder was von wem oder was getrennt werden soll, auch hier unbeantwortet. Nur die Abbildung des ‘Charging Bull’ oder ‘Wall Street Bull’ von Arturo Di Modica, der dir plötzlich fragmentarisch entgegen tritt, liefert einen Hinweis auf einen möglichen Antagonisten – so richtet die Arbeit den Blick auch darauf, was nicht abgebildet wird, auf dich, die Betrachter*in, oder dich, die sich vielleicht in der Rolle des von Kristen Visbal geschaffenen ‘Fearless Girl’ wiederfindet, die dem Stier an der Wallstreet für eine kurze Zeit gegenüberstand. Wenn Capitalist City die Entfremdung
per se, vor allem aber die des Öffentlichen sowie des Privaten betont, lässt dich Langer in Raum 3 stattdessen erneut besonders nah an ihr eigenes Objekt der Betrachtung heran: mit Movies (Controller) scheint ein intimes Unterfangen zwischen Hand und Mischpult dokumentiert. Langer zeigt schemenhafte Ausschnitte einer Hand, die immer wieder denselben Knopf eines CDJ-Geräts – hier der wichtigste Knopf, denn mit diesem wird die Marke des Einstiegs gesetzt – drücken. Die Funktion des Geräts verlangt eine immer gleiche Bewegung der Hand, wobei es in Movies (Controller) zu Momenten der zufälligen Synchronie kommt. Ebenso manifestieren sich die in den Werken angelegten Momente der Wiederholung darin, wie die Arbeiten zusammenspielen, um dich, die Betrachter*in, durch die Ausstellung zu führen.
Die Strukturen, die dich, die Besucher*in, umgeben – die mit «fourth wall» ausgestellten Werke – er- schaffen eine ‘vierte Wand’, nur um diese sogleich zu durchbrechen: Umgeben von einer Wand, die dich, die Betrachter*in, von den Bildern trennt, die entstehen, verdoppelt sich dein Blick.
Raum 3 ist der letzte Raum der Ausstellung. Dieser wird mit einem weissen Vorhang beendet, der den Blick in einen weiteren Raum verstellt. Hier sitzen wir, die Schreibenden, die dich zur Leser*in machen. Oder zumindest, stellen wir uns vor, wie du, die Betrachter*in, «fourth wall» durchschreitest - ein mög- liches Szenario wäre das eben beschriebene - vielleicht traust du dich aber auch, einen Blick hinter den weissen Vorhang zu werfen, um uns beim Schreiben zu ertappen. Ob dies den Ausgang von «fourth wall» verändern wird, bleibt unklar.
Text von Julia Hegi und Antonia Truninger
- Virginia Ariu
- Milena Langer
- Sara Ursina Sjölin