Aktuell
Pirouettenschwindel Iren Stehli, Karolin Brägger, Skjold Rambow
Zeiten:
Eröffnung: Sonntag, 17. November 2024, 17–21 Uhr
Geöffnet: 18. November – 15. Dezember 2024
Die Ankunft
Eine hochgewachsene Figur erscheint im Türrahmen. Sie ist drei Stunden zu spät. Weil es schon vier Uhr morgens ist, legt sich die Figur im Bad schlafen, bis sie behutsam ins Bett getragen wird.
Der Tanzboden
Das Jugendstilgebäude wurde auf den Abriss-Überresten des alten Königshofes gebaut, weil dem König die Lage ein wenig zu hyped war. Die schwarzweissen Fotografien entstanden auf Tanzböden nach dem Niederschlag des Prager Frühlings und vor dem Sturz des kommunistischen Regimes. Diese Phase – geprägt von Repression, Zensur, Kontrolle und Säuberung – wurde euphemistisch als Normalisierung bezeichnet. Die Tanzschule war ein obligatorischer Bestandteil dieser Zeit. Üblicherweise wurde in Leihgaben getanzt, dabei war es meistens vor allem der Boden, der sich in Anbetracht von Grossmutters klumpigen Schuhen krümmte. Ein Meter fünfundsechzig weiter oben kreuzten sich Augenpaare, ungeachtet des Dilemmas, das unter ihren schlurfenden Schritten vonstatten ging. (Mit den richtigen Connections bot die Schattenwirtschaft auch eine begrenzte Auswahl an westlicher Ware. Einzelne kannten eine Schneiderin, die den Schnitt eines echten Kleids aus Paris zu kopieren beherrschte.) Doch jetzt: Der Kreis probiert sich erst gar nicht zu schliessen, sondern läuft aus wie das Dotter eines missratenen Frühstückeis. Und die Kleidung aus Paris wird genauso schnell kalt.
Der Mann (Trophy-Man)
Schaufensterpuppen sind menschenförmige Kunststoffhüllen mit leeren Händen, die leere Versprechen präsentieren. Normative Displays, die sich sich einer Fülle von schlimmen Anschuldigungen entziehen. Die weisse Farbe wurde in mehreren Schichten aufgetragen, um fast jegliche Identität zu verdecken – doch sein Sixpack ist einfach zu hart (und offenbart ein ungefähres Herstellungsjahr 1980s). Die Mode begegnet allgemeinen Verunsicherungen mit einem falschen Gefühl der Sicherheit. Sie versucht, Nostalgie anzuzapfen und gebrauchsfertige Ästhetiken emotional aufzuladen. Der Mann ist mittlerweile an einem Punkt, an dem er wahllos free hugs anbietet.
Der Keil
Jemand torkelt im Halbschlafzustand durch den Raum und hat vergessen, wie spät es ist. 1500: Theater wurde meist auf geneigten Bühnen gespielt, um eine perspektivische Illusion zu erzeugen. Nicht nur beim Publikum, auch bei den Tänzer:innen, die nicht selten in Schwindel verfielen und ungeplant zu Boden kippten. Ehrlichgesagt waren es hauptsächlich jene Momente, die zu tosendem Applaus und schallendem Gelächter anregten. (RATATATATATATATA: Ein übergrosser Keil wird von Hand zurechtgesägt und ragt nun in den Türrahmen -> Stolpergefahr.) Ein Schatten huscht über die Bühne, ich verfolge ihn, aber backstage verliere ich seine Spur. Und jetzt? Fein säuberlich wische den über lange Zeit angehäuften Dreck zusammen und werfe alles über Bord. Ich schaue dem immer kleiner werdenden Haufen beim Davontreiben zu (blicke ihm mit pseudo-sentimentaler Mine hinterher).
Die Abreise
Bei meinem nächsten Besuch stehe ich selbst im Türrahmen. In einer unrhythmischen Geschwindigkeit durchquere ich die Räumlichkeit. Ich bin allein in vier Räumen (it’s so boring).
Text von Divided Studios
- Iren Stehli, *1953 in Zürich, lebt und arbeitet in Prag
- Karolin Brägger, *1993 in Zürich, lebt und arbeitet in Wien und Zürich
- Skjold Rambow, *1999, lebt und arbeitet in Kopenhagen