Unreal Estate beschreibt Potenziale - oder deren Abwesenheit - von Architektur, sowie der physischen Umgebung formalisierter und gefertigter Art im Sinne von Behausung, Arbeitsräumen, Mobiliar oder allgemeiner Gebrauchsgegenstände und Besitztümer. Die Werke in dieser Ausstellung berühren vielfältige Aspekte der Interaktionen und Beziehungen, die wir mit unseren gebauten oder fabrizierten Umgebungen haben oder entwickeln.
Im Weiteren bauen wir diese Umgebungen nicht nur, sondern werden von ihnen auch beeinflusst. Physikalische Bedingungen sind ihnen inhärent, wie beispielsweise der akustische Charakter jedwelches Materials oder von Gebäudestrukturen. Dieser akustische Charakter, sowie der Wunsch ihn anzupassen oder zu erweitern, steht stellvertretend für eine Zeit oder die Menschen und Gemeinschaften, welche diese Strukturen nutzen.
Mit seiner Arbeit The New New Material zeigt Jan Hofer dies exemplarisch auf; es handelt sich dabei um ein nacherfundenes Baumaterial, welches auf der vergessenen Rumford Fliese basiert. Diese Fliese war im frühen 20. Jahrhundert beliebt um die Akustik, zuerst von Kirchen und später von anderen Versammlungsorten von Gemeinschaften, von hallend zu klar zu verändern um so angemessene Umgebungen für diskursive Verhältnisse der Gemeinden oder Gruppen unter Einbezug aller Mitglieder zu schaffen.
Mit ihrer Arbeit i hear you, hört Julia Znoj wiederum in die Wände des Gebäudes hinein. In ihrer Installation decocore planetary (she‘s around every corner), wählt sie eine materielle Begegnung mit dem Zeichnen von Räumen und der Veränderung von Raumpsychologien durch die gleichzeitige Definition aber auch Verwischung des Innen und Aussen, des Privaten und des Öffentlichen.
Eine andere Position zur Formalisierung architektonischer Räume durch Wände und Türen nimmt Matthias Liechti mit seiner Skulptur 12 Cinema Chairs for 6-Year-Olds ein. Liechti nutzt gestapelte, nicht existierende Möbel - wenngleich es so scheint als müssten diese Möbel eigentlich existieren - als Beispiel für die formalen Aspekte von geometrischen Ornamenten. Die Tatsache, dass sein augenzwinkerndes Objekt, nicht nur ein formales Argument eröffnet, sondern auch Fragen im Bezug auf die Publika und Nutzenden von durch konstruierte Räume behaupteten Systematiken eröffnet, ist dabei besonders bemerkenswert.
Jiajia Zhangs Video Untitled (Unreal Estate) sieht sich diese Systematik aus einer anderen Perspektive an. Das Video führt durch verschiedene Stufen der Intimität mit POV-Material, welches mit einer Handycam aufgenommen wurde. Es dokumentiert diverse Situation von privatem und öffentlichem Leben. Die zitierten Untertitel entspringen Romanen, Slogans von Unternehmen, aber auch Immobilienwerbungen und Städtebauforen und erzeugen ein Verständnis für die vielen verschiedenen Kräfte, die hinter sichtbaren Strukturen stehen. Zhangs Skulpturen, die Citizens R, E, A und L aus der Serie Oops Oops Estate verweisen auf Fragen zu den Beziehungen zwischen Mensch und Architektur zurück. So rotten sich diese Modell-Hochhäuser in einer Ecke des Ausstellungsraums zusammen. Sie zeigen dabei verschiedene Stufen des Entstehens und Werdens durch diverse (un)kleidsame Accessoires.
Neben dieser Gruppe von Skulpturen, beschreibt Heidi Buchers Werk Anna Intimität, Nähe und Fürsorge. Anna ist der Latexabdruck eines Bodens mit einem eingearbeiteten Wischmop. Buchers Arbeit Parkett zeigt diese Intimität gar noch ausdrücklicher; das Latex fungiert als Schnittstelle zwischen Bucher und ihrem Haus, welches sie „Borg“ nannte - das Wort leitete sie vom Begriff „Geborgenheit“ ab. Die Gazebinde in Parkett, wie der Mop in Anna, ist ein Material, welches mit Fürsorge oder Pflege assoziiert werden kann; im einen Fall für die Person Anna mit einem Putzgerät für Gebäude, im anderen Fall für einen Teil von Häusern - den Böden - mit medizinischem Verbandsmaterial. Dies zeigt die Intimität mit welcher Bucher ihren Umgebungen begegnet.
Intimität scheint eine angemessene Beschreibung der Essenz der Geschichten, die Anita Semadenis Malereien zeigen. In Erinnerung an den ungewöhnlichen Beruf ihres Vaters als sie ein Kind war als Bakterienzüchter für Joghurt, platziert sie eine Fotografie in einer Perspektivenstudie in wenn mir langweilig ist, züchte ich Bakterien. Daneben zeigt sie Arbeiten aus der Serie alp plata sura spineo, welche das Ideal eines kleinen Hauses auf einer Anhöhe mit Baum und Garten heraufbeschwören. Damit zeigt sie, wie Immobilien persönliche Utopien beschreiben können.
Das von Semadeni artikulierte Ideal, kann auch als Modell verstanden werden. Elza Sile nutzt die Reminiszenz an Architekturmodelle als Element in ihren Zeichnungen und Malereien. Ihre, aus den drei Möbeln Domestic Circle, Key Chain Shelf und Animal Farm: deletion bestehende, Installation fungiert dabei nicht nur als Behälter für ihre dystopische Idealisierungen, aber auch als Unbequemlichkeitsmoment. Dadurch, dass sie keinen vollständigen Blick auf alle Objekte in ihren Regalen erlaubt, wird ihre Arbeit besonders entnervend, sind doch Modelle im Allgemeinen dazu gefertigt, einen Überblick zu verschaffen.
Der Empfangsbereich mit einem von Kevin Aeschbacher gestalteten und gearbeiteten Möbel folgt einer ähnlichen funktionalen Systematik wie Siles Regale, wenngleich weniger physisch. Das Möbel trennt das Öffentliche vom Privaten und symbolisiert eine Passage oder Schwelle. Dieses Element präsentiert sich so, wie ihre Besitzer gerne von der Aussenwelt gesehen werden möchten und verweist auf potenzielle Konflikte im Bezug auf Kunst, Dekoration, Gebrauchsgegenstände und der Steuerung von Körpern.
- Clifford E. Bruckmann
Jan Hofer (*1988) lebt und arbeitet in Zürich
Matthias Liechti (*1988) lebt und arbeitet in Basel
Anita Semadeni (*1986) lebt und arbeitet in Zürich
Elza Sile (*1989) lebt und arbeitet in Zürich und Riga